Mannis grosser Tag

Es war Mannis grosser Tag. Zumindest im Hafeneck. In der Hamburger Spelunke hing dichter Rauch, dass man die Decke kaum sah. Die Kneipe war halb voll. Die Gäste auch. Und alle waren sie gekommen: Der brachiale Bernd, der schweigsame Sven, die rauchende Renate, die schwitzende Sabine, der krause Karl und die eklige Erika. Hinter dem Tresen wischte Bettina – oder Busen Betti wie man sie liebevoll nannte – Staub mit einem dreckigen Geschirrtuch von A nach B. Manni rührte in seinem Kaffee mit Rum. Daneben stand ein Bier.

 

Manfred, grauer Seemannsbart, Holzschuhe, Hörgerät, trug ein Hemd. Ein kariertes. Das war nicht weiter ungewöhnlich, aber an diesem Tag trug Manni ein kariertes Hemd ohne Flecken. Sabine bemerkte es als erste.

 

«Manni wie siehst du denn aus?», fragte sie. Keine Reaktion. Bernd stand auf und haute Manni zwischen die Schulterblätter. Der unterbrach sein meditierendes Rühren im Kaffee. «Wirst du jetzt Politiker oder was?», grölte Bernd und haute Manni nochmal auf den Rücken.

 

«Der Manni hat heute Geburtstag», klärte Busen Betti die Runde auf. Manfred nickte. «Mensch Manni!», brüllte Bernd. «Da müssen wir drauf trinken!» Er schlug Manni nochmal aufs Schulterblatt, dann auf den Tresen und bestellte eine Runde Bier für alle.

 

Die Aussicht, plötzlich einen Anlass zum Trinken zu haben, versetzte die Runde in Aufregung. Schnell wurden alle herumstehenden Getränke geleert. Auch die des asiatischen Touristenpaars in der Ecke, das sich im Hafeneck verirrt hatte und entweder den Ausgang vor lauter Rauch nicht mehr finden konnte oder immer noch darauf wartete, dass Bettina ihnen ein Fischbrötchen brachte.

 

Mit den frischen Bieren wurde angestossen und alle ausser dem schweigsamen Sven sangen einmal Häppi Börssdäj für Manfred. Der nickte und widmete sich wieder seinem Kaffee. «Mensch Manni wie alt wirste denn?», wollte Renate wissen. Manfred rührte drei Mal im Uhrzeigersinn, legte den Löffel beiseite und trank dann einen Schluck Bier. Was auch immer das bedeuten mochte.

 

«Ich brauch erstmal einen Schnaps», sagte Sabine und wischte sich die Schweissperlen von der Stirn. Busen Betti kam mit einer Kiste Klopfer herum und stellte auch den Asiaten zwei hin. Dann wurde getrommelt und alle kippten den Pflaumenschnaps hinunter. Bettina zauberte einer Torte aus den Weiten hinter dem Tresen hervor und stellte sie Manni vor die Nase. Eine Wunderkerze zersprenkelte sich in die abgestandene Luft. Als sie erlosch, klatschten Sabine und Renate Beifall. Dann sangen alle ausser Sven nochmal Häppi Börssdäj. Ein paar Pappteller wurden abgespült und der Kuchen verteilt.

 

Plötzlich ging die Tür auf und ein Schwall Menschen drang ins Hafeneck. Bernd sprang auf und begrüsste seine Mannschaftskollegen vom 1. FC Turbohorn. «Männer!», sagte er staatstragend. «Der Manni hat heute Geburtstag.» Er knallte Manni wieder eine Hand auf den Rücken. Busen Betti wuchtete einen Kasten Astra auf den Tresen. Dann begannen die Männer vom 1. FC Turbohorn, ihre Schlachtrufe zu singen.

 

Das Asiatische Paar in der Ecke zücke verstört seine Kameras und fing an, alles zu fotografieren.

«Guckt mal, die Presse ist auch da», rief Renate und setzte sich zu den Gästen. «Ich kenne den Manni ja schon am längsten», sagte sie und blies Zigarettenrauch in die Luft. «So klein war der Manni noch als ich ihn das erste Mal auf eine Hafenrundfahrt mitgenommen habe. Wenn ihr versteht was ich meine. Aber Bart hatte er schon immer.»

 

«Betti wir brauchen mehr Torte!», rief Bernd über die Menge hinweg. Busen Betti brachte noch eine halb aufgetaute Torte und verteilte die restlichen Wunderkerzen an ihre Gäste. Alle schunkelten wie an Silvester und sangen – mit Aussnahme von Sven – ein drittes Mal Häppi Börssdäj. Manni rührte in seinem Kaffee.

 

Der Trubel in der Kneipe hatten in der Nachbarschaft des Hafenecks für Interesse gesorgt. Immer mehr Menschen drängten sich in die Spelunke und versuchten Manni zu gratulieren, in dem sie ihm anerkennend auf die Schulter klopften. Durch die nun stets geöffnete Tür waberten die Ausdünstungen der Kneipe ins Freie. Der Russ der Wunderkerzen und der dichte Zigarettenrauch bildeten dunkle Wolken, die nun über dem Hafeneck aufstiegen.

 

Es dauerte nicht lange, dann standen Polizei und Feuerwehr vor der Tür. Renate fing die Männer in Uniform ab und erzählte ungefragt, aber detailreich von ihrer Hafenrundfahrt mit Manfred. Busen Betti verteilte Torte und Klopfer an die Beamten. Bernd war auf einen Tisch geklettert und begann nun Geburtstagslieder und Fussballschlachtrufe im Wechsel zu singen. Immer mehr Menschen versammelten sich in der kleinen Hamburger Strasse. Und dann geschah etwas, mit dem niemand gerechnet hatte. Etwas Aussergewöhnliches. Etwas, das es in dieser Form noch nicht gegeben hatte.

Manni erhob sich mit einem Geräusch ähnlich dem von Klettverschluss von seinem Barhocker. Er trank seinen Kaffee aus, fuhr sich mit der Hand durch den Bart und sagte: «Ich brauch mal frische Luft.»

In der Kneipe war es still geworden. Niemand hatte Manfred je stehen sehen. Geschweige denn laufen. Konnte er das überhaupt?

 

Bernd war der erste, der die Fassung wiedergewann. «Aber Manni, heute ist doch dein Ehrentag», sagte er. Manni blicke ihn verständnislos an. Dann schaltete er sein Hörgerät ein. «Bitte?» «Du kannst doch jetzt nicht gehen. Heute ist doch dein Geburtstag.» Manni blicke sich um, nahm erstmals die volle Kneipe wahr. Sah sogar die Decke, so viel Rauch war aus der Tür geströmt. «Ich glaub der ist erst morgen», sagte er.

 

Die Asiaten packten ihre Kameras weg. Renate stiess einen Schrei des Entsetzens aus. Sabine begann zu weinen. Der schweigsame Sven stand auf, öffnete den Mund und sagte: «Tschüss Manni. Dann bis morgen.» Manfred nickte.